Die Krisen der letzten Jahre zeigen die Notwendigkeit für digitale Resilienz in der Verwaltung. Auf dem Weg zum digitalen Rathaus.
Ein Gastbeitrag von Laurence Greeb und Jessica Przybylski von Cassini Consulting
Das Rathaus ist kein Gebäude mehr; zumindest nicht ausschließlich. Stattdessen sollten wir das Rathaus als eine Verwaltungsplattform begreifen, die sowohl das physische Rathaus als auch den digitalen Raum umfasst. Wir müssen die Verwaltung komplett neu denken und dabei die Bedürfnisse des Bürgers in den Mittelpunkt stellen.
Resilienz und Effizienz
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie notwendig digitale Angebote auch in der Verwaltung sind. Es geht um digitale Resilienz: Der Staat muss die Handlungsfähigkeit der Verwaltung in Krisensituationen sichern. Nicht nur in einer Pandemie, sondern auch in anderen Lagen wie beispielsweise der Flutkatastrophe im Ahrtal wurden die digitalen Versäumnisse im deutschen Verwaltungswesen offenbart.
Digitale Resilienz berührt neben technischen auch rechtliche und kulturelle Aspekte. Nehmen wir das Beispiel der Formellen Online Meetings (FOMs): Während der Pandemie mussten sowohl die Tools als auch die Rechtsgrundlage für satzungskonforme FOMs geschaffen werden. Zudem musste sich eine neue Meeting- und Streitkultur etablieren. Heute sind wir diesbezüglich schon einen großen Schritt weiter.
Es geht aber auch um Effizienz: Das digitale Rathaus gibt der Verwaltung die Möglichkeit, sich besser um die Menschen zu kümmern, die Hilfe benötigen. Gleichzeitig gibt es den Bürgern die Freiheit, ihre Anliegen jederzeit und von überall aus zu bearbeiten. Durch die Entlastung von Bürokratie und manuellen Prozessen wird der Fokus von Bürgern, Unternehmen und Verwaltung auf das gelenkt, was wirklich wichtig ist: ihr Tagesgeschäft.
Digitale Verwaltung
Mit der Umsetzung der Single Digital Gateway Verordnung (SDG) der EU und des Onlinezugangsgesetzes sollen den Bürgern und Unternehmen bis Ende 2022 rund 500 Verwaltungsleistungen als Online-Services zur Verfügung stehen. Damit ist der politische Wille zur Digitalisierung der Verwaltung gesetzlich manifestiert.
Von diesen 500 Verwaltungsleistungen finden rund 300 auf Länderebene statt. Ein eindrucksvolles Praxisbeispiel für die Digitalisierung und Zusammenführung solcher Dienstleistungen ist das Wirtschafts-Service-Portal des Landes Nordrhein-Westfalen.
Der Blick auf das Rathaus
Diese Digitalisierungsleistung ist wichtig und richtig, doch tangiert sie den Normalbürger überhaupt?
Die häufigsten Kontaktpunkte des Bürgers mit der Verwaltung sind Dienstleistungen wie die Beantragung des Reisepasses, der Einreichung von Wahlunterlagen, die Eheschließung und nicht zuletzt die Einkommenssteuererklärung. Im Schnitt hat der Bürger also sehr wenig im Jahr mit der Verwaltung zu tun und das in der Regel mit dem lokalen Rathaus.
Das primäre Ziel muss also sein, die regelmäßig beanspruchten Dienstleistungen als erstes zu digitalisieren. Das Rathaus muss nicht das Amazon der Verwaltung werden. Es muss nichts verkaufen, sondern es muss einfachen Zugang zu den Diensten bieten, die die Bürger zwangsläufig beanspruchen müssen. Hier kann Automatisierung echten Mehrwert leisten.
Das Rathaus der Zukunft
Bei der Digitalisierung der Verwaltung muss folgender Grundsatz gelten: Alles MUSS digitalisiert werden. Und wenn nicht, muss das begründet werden. Ein Beispiel ist das Prostituiertengewerbe: In dieser Industrie sollten Beschäftigte persönlich bei der Verwaltung vorstellig werden, sodass der Staat seiner Fürsorgepflicht gerecht werden kann und Zwangsprostitution bekämpfen kann.
Die meisten Verfahrensabläufe, beispielsweise Gewerbeanmeldungen oder Kindergeldanträge, können digitalisiert werden. Im Mittelpunkt dabei stehen sowohl die Register als auch die Prozesse an sich. Es geht also nicht nur um die Digitalisierung eines Aktenschrankes, sondern insbesondere um die Automatisierung der Prozessabläufe.
Das hat weitreichende Konsequenzen nicht nur für die Bürger, sondern auch für die Institution des Rathauses selbst. Dienstpostenbeschreibungen müssen auf neue Anforderungsprofile angepasst werden. „New Work“ muss auch im Rathaus stattfinden. Es braucht Regelungen für Cybersecurity – beispielsweise Bring-Your-Own-Device-Policies – und flexible Arbeitszeiten und -weisen, die dem digitalen Arbeiten gerecht werden.
Die Smart City
Langfristig geht diese digitale Vision weit über das Rathaus hinaus. Alle Digitalisierungstrends in der kommunalen Verwaltung, Infrastruktur, Mobilität, Sicherheit und Privatwirtschaft münden in der Smart City.
Hier kommen auch FOMs wieder in den Blick: Sie sind einer von vielen Meilensteinen auf dem Weg zur digitalen Verwaltung. Sie schaffen digitale Resilienz, Effizienzgewinne und Mehrwert für alle Beteiligten. Während der Coronapandemie wurde in puncto FOMs bereits ein großer Fortschritt erzielt. Jetzt gilt es, nicht in den alten Trott zurückzukehren und aus Gewohnheit wieder zu Präsenzveranstaltungen zurückzukehren.
Wozu auch? Wir haben die Tools – und seit der Pandemie auch die Rechtsgrundlage – jetzt brauchen wir digitale Verwaltungsprozesse und eine Kulturumstellung. Klar ist aber auch: Eine Smart City errichtet man nicht mit einem 10-Jahresplan, sondern Schritt für Schritt durch eine agile Herangehensweise und Learning by Doing.